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 “Mahagonnysierung”: Schwierigkeiten der sozialen Selbstidentifizierung

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  Jeder sozialer Theoretiker ist einem Billardkugel ähnlich - unter dem Druck der sich ändernen geschichtlichen und kulturellen Kontexten rollt er zwischen verschiedenen Prinzipien und Abzählenpunkten, die streben, theoretische Mode oder soziale Herausforderung folgend, ihn zu verschlingen.  So ein Theoretiker in der postsowjetischen Raum ist dazu gezwungen, bei der Analyse der sozialen Ereignissen und kulturellen Tatsachen immer wieder zwischen mindestens 4 Orientierungspunkten zu pendeln: sowjetischen, postsowjetischen, westlichen und utopisch-ideellen. Die Linien zwischen diesen verschiedenen Koordinaten bedingten einen bestimmten Blickwinkel der Interpretation. Die Summe dieser Analyseaspekten kann ein volles Bild der untersuchten Gesellschaftsereignissen und Kulturwerke geben. So kann man auch Bertolt Brechts Werk in diesem methodologischen Viereck verschiedenartig betrachten. Aber mindestens 2 Рunkte fallen jetzt einigermassen aus: “Westen” ist nach postsowjetische Russland angekommen und das Phänomen der Utopie ist in Massenbewusstsein und bei sozialen Theoretikern kompromettiert (“keine Experimente” – obwohl gerade das Phänomen der kollektiven Träumen eine tiefe Analyse braucht). Die interessanteste Probleme entstehen im Spannnungsfeld zwischen sowjetischen und postsowjetischen Standpunkten. Die theoretische Spannung hier kann man mit Hilfe der Antinomie ausdrücken: Brecht ist fuer heutige Russland nicht aktuell und Brecht ist, wie frueher in der Sowjetunion, aktuell.

     Zum ersten These: warum Brecht in Russland nicht aktuell ist?

 

 Vor allem, selbst die postsowjetische Realität hat sich ins epische Theater verwandelt. Wie bekannt, besteht die Philosophie der epischen Theaters aus folgenden Ideen: die Verfremdung, Trennung der Elementen (Wort, Musik, Bühnendarstellung), jede Szene verlauft für sich selbst, es gibt Sprungen und Montage, und es ist ein sich verändernder Mensch, der mit der Situation zur Entscheidung gezwungen wird[i].

 

    Wenn man auf die postsowjetische Realität sieht, so sind dort alle obengenannte Elemente bemerkbar. Vor allem selbst der Sprung aus der Sozialismus in Kapitalismus kann man als ein allgemeiner Zusammenbruch der vorherigen Gesellschaft und Kultur verstehen. Als Folge stellt heutige russische Gesellschaft eine wunderliche Mischung aus der Elementen des Neuen und des Alten dar, d.h. es entwickelt sich als eine spontane historische Montage. Wenn man der Begriff „Ungleichzeitigkeit“ von Ernst Bloch benutzt[ii], kann man von der inneren Teilung der Gesellschaft sprechen. Es ist die Segmentierung der Gesellschaft auf einige Fragmente, die mit gesamten Gesetzen dieser Gesellschaft oft nicht zusammenfallen (Wirtschaft und Bildung, Grossstadt und Kleindorf, moderne Unternehmen und soziale Arbeit usw.). Sie   unterscheiden sich nach Werten, Verhaltensmuster, Handelnsprinzipien usw. Und so sieht ein Segment der Gesellschaft (vor allem vom Standpunkt der dort tätigen Leute) als eine Provokation gegenüber den anderen aus. Deshalb ist die soziale Provokation eine weit verbreitete objektive Tatsache in der postsowjetischen transformierenden Gesellschaft und man braucht nicht zusaetzliche Bemuehungen im Theater, um das Bewusstsein der Bürger (Zuschauer) zu erwachen. Weiter, der Verfall der ehemaligen sozialen Struktur bedeutete fast für alle Schichten der Bevölkerung die Veränderung ihrer sozialen Statut und Lebensweise. Jetzt ist Hauptperson (Hauptheld) in der Gesellschaft   ein kämpfender Mensch, der gezwungen ist, aktiv zu handeln, daneben auch sein Beruf, seine soziale Gruppe wegen der Änderung der sozialen Umständ zu wechseln.

 

    Zweitens, man beobachtet die allgemeine Entfremdung von der Gesellschaft, Kultur, ehemaligen Traditionen. Man kann die Stärkung der existentialistischen Stimmungen unter breiten Bevölkerungsschichten und, folglich, unter des Theaterpublikums, bemerken – Stimmungen der Geworfenheit, Einsamkeit, Kampf allen gegen allen usw. Und wenn für Brecht das Leben in Weimarer Republik eine „Kryptoemigration“ (W.Benjamin) war, so ist für viele Leute in der postsowjetischen Gesellschaft die Situation der inneren Emigration aus der Gegenwart aktuell. Es entsteht die Exilflucht in die Vergangenheit, ins Private, in die Bildung, in Erlernen der Fremdsprachen usw. Sehr viele Leute leisten Widerstand oder distanzieren sich in verschiedenen Formen vom gegenwärtigen Leben[iii]. Das ruft das Bedürfniss an die Vereinigung, ans Gesamterlebniss, Einfühlung in die Aufführung und Weggehen von der Realität hervor. Deshalb entsteht Akzent auf Erlebnisse, Eintauchen in das Handeln, bekannte Eigensсhaften des Menschen – d.h. auf das, was Brecht als dramatische Form des Theaters charakterisierte. Ich verschweige schon von der  Verschiedenheit des Theatermodells bei K.S. Stanislawski und B. Brecht.  

 

     Drittens, Brecht war als Oppositon der offiziellen Ideologie in der stabilen sowjetischen (und nicht nur sowjetischen) Gesellschaft interessant. Es gab nicht viele Aufführungen, sie trugen den Charakter der politischen und künstlerischen Avangarde, waren für die Übergabe der oppositionellen Stimmungen geeignet und waren bei der linke Intelligenz populär[iv]. Aber in der sich transformierenden russischen Gesellschaft verliert Brecht in vielem seine provoziernde Aktualität, es bleibt oft nur brennende Illustrativität. Eine der Ideen in „Dreigroschenoper“ besteht, z.B., darin, den Zuschauer zum Gedanken vom Abwesen des Unterschieds zwischen Kriminellen und Boeurgeois anzustossen, Identität der beiden zu entdecken. Aber die reelle Geschiсhte des neurussischen Kapitalismus ist mit solchen Beispielen voll, es ist schon Binsenwahrheit und, obwohl „Dreigroschenoper“ in 1990-er Jahre in Russland populär war, von Brecht selbst ist dort sehr wenig geblieben.   Ähnliche Situation entstand mit Mutter Courage und ihre Kinder“ – wenn heute „Komitees der Soldatischen Mutter“ aktiv gegen den Krieg in Tschetschnja kämpfen und die Kritik der Armee in der russischen Gesellschaft stark ist, dann verliert dieses Theaterstueck ihre fruehere mobilisierende Kraft und ist nur eine Illustration der schon lange bekannten Antikriegsideen.

 

    Und nun zur andere These – von der Brechts Aktualität in Russland. Es ist klar, dass die Themen des Geldes, Armee, soziale Ungerechtigkeit ewig sind und deshalb werden die Theatestücken von Brecht immer wieder aufgeführt[v]. Das Sujet von “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny”, welches als gescheiterte Versuche der sozialen Selbstidentifizierung der Hauptpersonen in der sich aendernden Welt verstehen kann, zeigt das deutlich.

 

    Die Aktualitaet des Stueckes tritt mindestens in drei Aspekten hervor. Erstens, es ist der Verfall der verschiedenen Gemeinschaften (im Stueck - vier Freunde als Holzfaeller-Gemeinschaft) unter neuen Umstaenden, Verlust des kollektiven Gedaechtnisses und der regulierenden Kraft der gemeinsamen Erlebnissen und Erinnerungen. Die Holzfäller hatten viel gemeinsames im vorigen Alaska-Leben erlebt, sie alle zusammen haben Paul in die Stadt - nach seinem Fluchtversuch - zurückgefuehrt. Aber warum gingen sie weiter so getrennt voneinander? Und warum sind ihre Versuche, in die neue Mahagonny-Gesellschaft zu integrieren, gescheitert?

 

    Hier gibt es zwei Moeglichkeiten zur Interpretation. Einerseits, kann sein, dass mindestens drei von vier Holzfäller sehr oft an Alaska erinnern. Jakob der Vielfrass hat so viel gegessen, weil er gerade hungrige Tage am Alaska im Gedächniss haltete. Und Paule Ackermann strebt zur Kompensation seiner Alaska-Entbehrungen. Deshalb kann man vermuten, dass die Holzfäller in ihrem neuen Verhalten mehr ihre Arbeitsvergangenheit kompensieren, als an die neue Mahagonny-Realität anpassen. Andererseits, kann sein, dass gerade das Vergessen des Alaska-Lebens hat zu solchen Ergebnissen führte. Das bedeutet vor allem, dass diese Personen kann man schon nicht metaphysisch - als ob sie ein “inneres” (z.B.,    “holzfällerisches“, “hartes“)  “Wesen” haben, sondern funktionalistisch interpretieren – als ob ihr Verhalten eine Funktion von der sich ändernden sozialen Umständen ist (Holzfäller als “Plastilin-Leute“). Paule, Jakob, Joe haben die ehemalige Wärme, Nähe, Hilfsbereischaft, Kameradschaft des kalten Alaska-Lebens vergessen – und nur bei der Aufbewahrung dieser Werte könnten solche Leute im Mahagonny überleben. Aber auf jeden Fall entsteht so aktuelles für das heutige Russland Problem der Vergesslichkeit: die sowjetische soziale Erfahrung in den verschiedenen Lebensbereichen in die letzten 10-15 Jahre ist verlorengegangen. Die neuen wirtschaftlichen, politischen, kulturellen Umstände haben für die Leute einen neuen kategorischen Imperativ hervorgehoben: vergessen, um zu überleben. Deshalb lässt “Mahagonny” eine Frage stellen - nicht nur von bestimmten Typ der Erinnerungskultur, sondern auch von besonderen Typ des Vergessenskultur und von der Produktivität des Vergessens.

 

    Zweitens, die Entdeckung der Illusion des kollektiven Traumes, ihr Zerfall auf individualisierende Gluecksvostellungen bedeutete gleichzeitig ihre Archaisierung (“fressen, kaempfen, saufen…”). Gerade das bemerkt man in der heutigen russischen Gesellschaft. Die Überwindung der Super-Ideologisierung der Gesellschaft bedeutete in optimistische Variante die Verschiebung der kulturellen Werten und Akzentuierung auf den Verbrauch, in pessimistische - die gleichzeitige Archaisierung des sozialen Lebens. Diese Archaisierung ist eng mit Problem der sozialen und kulturellen Selbstbegrenzung verbunden. Gerade solches „unbegrenztes“ archaisiertes Verhalten der Hauptpersonen kann man in „Mahagonny“ bemerken –das sind die Schicksäle von Jakob der Vielfrass und Joe. Und hier entstehen die Parallele mit der postsowjetischen Menschen. In der sowjetische Zeit wurde die Begrenzung vor allem a) von oben, b) von aussen, c) mehr von der Ideologie als von Kultur (Moral) diktiert. Und in der postsowjetischen Gesellschaft – nach der Aufhebung verschiedener Verboten - koennen die Leute nicht sich selbst vernunftig kontrollieren und selbst soziale Normen festhalten.     Solche allgemeine Anomie-Situation erklärt einigermassen verschiedene Phänomene der 1990-er Jahren in Russland (Kriminalitaet, finanzielle Pyramiden, Pseudo-Heiler usw) und deshalb ist „Mahagonny“ eine überzeugende Illustration solcher Situation.        

 

 Drittens, “Geld macht sinnlich” – und das bedeutet bei Brecht der neue Blickwinkel, der für die Analyse der postsowjetischen Geselschaft wichtig ist. Im Aspekt der Sinnlichkeit kann man mindestens auf das Problem des dialektischen Verhaeltnisses von Stille und Laerm aufmerksam machen[vi]. Das Problem öffnet sich auf den zwei Bedeutungsebenen.

 

    Einerseits, es ist im Stück zuerst das Schwerpunkt der Kritik an die Zivilisation. Willy Prokurist sagt in 3 Szene: “Hier in euren Staedten ist Laerm zu gross, Nichts als Unruhe und Zwietracht…”. Wie kann man vermuten, übt man diese Kritik, ausgehend aus Wert der  Stille als Merkmal des Paradieses, Bei-sich-Seins, Heimat, Selbstbesinnung usw.. Aber andererseits entdeckt im Stück gerade diese Stille die Leere der sozialen Verhaeltnissen, ihre Entfremdung und Sinnlosigkeit - ab 7 Szene ist schon die kritische Rede von “Haufen der Stille” als Grund der Flucht aus der Stadt. Witwe Begbick will weg, Paul Ackermann am Anfang der 8 Szene sagt: “Zu ruhig”. Deshalb wechselt man Stille auf Laerm - seit 13 Szene “Hochbetrieb” in Mahagonny. Der Laerm – als Inhalt und Hintergrund der Kommunikation, als Drogen – in der Funktion der Tröstung - wird ein Symbol, aber gleichzeitig ein Ersatz von Sozialitaet. Die Polyphonie der Stadt ist auch ein Versuch, diese Leere des sozialen (gemeinsamen) Sinnes zu verdecken.

 

    Die zweite – theoretische - Ebene bedeutet die Interpretation der bestimmten Laerm auch als Merkmal und Kriterium der Gruppen- und Selbstidentifikation. Jede Gesellschaft hat bestimmte Kultur des Lärms und Stille und bestimmte Mass von ihren Verhältnisses. Dabei ist Lärm nicht die Gesamtheit der Signalen, die man nicht identifizieren kann, sondern die Gesamtheit von bekannten, irgenwann als bestimmte Zeichen und Symbolen identifizierten Lauten (Schallen), die konkreten Sinn für Individuen haben und tragen. Die Lauten sind die Zeugnisse nicht nur des Selbstausdrucks, sondern auch der Verbindung und Kommunikation der Leuten miteinander. Man kann von Schallen (Lauten)organisation der sozialen Zeit und Raum sprechen. Die Anerkennung des Lärms als Gesamtheit der technologisch und sozial notwendigen Lauten bedeutet gleichzeitig die Anerkennung der sozialen Realität.

 

   Wenn man die sowjetische Gesellschaft in dieser Richtung analysiert, so öffnet sich dort eine breite Palette der Lärmcharakteristiken.

 

     Erstens, es gab bestimmte Hierarchie der Stimmen – von der Stimme der „Ersten Person in der Staat“ (die üblicherweise keine gute rednerische Eigenschaften hatte), Stimmen der Rundfunk und TV-Ansager, die im Nahmen der höchsten Instanz sprachen (ZK der KpdSU) bis Stimmen der „Werktätigen“. Aber auf jeden Fall Sprechen war obligatorisch.   Im ganzen kann man sagen, dass die These der klassischen europäischen Philosophie: „das Wesen muss erscheinen“ wurde ideologisch gerade im Lautenaspekt pervertiert. Rene Descartes hat gesagt: „ich denke, folglich, ich existiere“, im europäischen Kulturpraxis wurde dieser Prinzip korrigiert:“ich spreche, denkend, folglich, ich existiere“. Und in der sowjetischen Gesellschaft verwandelte dieser Prinzip in lebensrettende konformistische Behauptung: «ich spreche richtig und rechtzeitig, folglich, ich existiere“. Sein „inneres Wesen“ konnte ein Individ zeigen, nur wenn er Stimme „gab“ - in der notwendigen Situationen nach gebilligten Muster. Die atomisierten Individuen wurden vor allem durch den politischen und technischen Lärm organisiert und „zusammengeklebt“. Dabei war die Stille verdächtig - als die Möglichkeit des Anderen (Meinung,Verschwörung, Angriff usw.) und gefährlich. Kollektivistisch organisierte Lautenraum der sowjetischen Gesellschaft versuchte die Stille als die Bedingung und Mechanismus des Werdens der Individualität zu vertreiben. Deshalb versuchte man nicht nur Lärm, sondern auch die Stille kollektivieren.

 

   Zweitens, es gab ritualisierte Struktur des Lärmes (Erwachen nach Signal aus Moskau, Strassen-Lautsprecher in den Städten und Dörfen, die Signalen der genauen Zeit als zentralisierter Wecker, Morgengymnastik, Hornsignal im Pionierlager usw…).   Die Ritualität des Lebens hat sein Ausdruck in der Ritualität des Lärms gefunden – bei Zustimmung oder Tadel, Ausdruck seines Meinens, oder Anknüpfung an anderen, Entwicklung des Konflikts usw., Festlärm während der Mai-oder November-Demos, technologische Lärm der Fabrik, Brigade auf Subbotnik. Der offizielle Lärm hat seine eigene Logik und Rythmus: z.B., auf den Versammlungen und Kundgebungen gab es simbolische Lautaustausch: Rednerstimme – Applaus – Stimme.  Die Lauten wurden Zeichen des Eigenen und des Fremden im offiziellen Bereich und im Alltag

 

   Die Perstrojka-Zeit führte allmählich von der Zentralisierung und Kollektivierung des Lärms zu dessen Privatisierung. Mega-Stimme der kommunistischen Partei und anderen aufsichtigen Instanzen sind verschwunden. Es erschienen, vor allem, andere Stimmen und Lauten der verschiedenen Subkulturen (jugendlichen, kriminellen, homosexuellen), die eine Recht auf Existenz in der Gesellschaft und Massenmedien bekommen haben. Der Lärm wurde spontaner, unvoraussagbarer, vielartiger. Neue soziale Verhältnisse zwingen dazu, ein neues Motto anzurufen und durchzuführen: „ich produziere Lärm eigenartig und nach meinem Wunsch, folglich, ich existiere“. Dieser demonstrativer Lärm bedeutete die Entstehung und Entwicklung des Schallindividualismus. Dieser letzter verwirklichte sich in passiven und aktiven Formen.   Passive Formen – wie, z.B., die Leute mit Kopfhörern (in der ausgezeichneten Fernseh-Inszenierung von J.Herz, 1977, sitzen viele Leute mit den Kopfhörern) zeigen, dass es gibt  verschiedene individuelle und kollektive, alltägliche und offizielle, politische und kulturelle Schallumhüllungen. Deshalb kann man vermuten, dass die Nieschengesellschaft[vii] weiter existiert. Aktive Formen bedeuten die Verbreitung des privaten Schallraums - oft in Form der agressiven Schallokkupation - auf die nächste Umgebung: die Gespräche mit Händy, laute Musik im Haus, Auto, auf Picknick usw.

   Wenn diese Überlegungen zurück, auf die verschiedene Brechts Inszenierungen (u.a. auf „Mahagonny“) richten, so entstehen, vom postsowjetischen Standpunkt her, einige neue Beobachtungen: a) Es gibt eine Figur der Kommentator, der (wie ein neuer Sokrates) dank seinen Kommentars einen Eindruck erweckt, als ob er die ganze Wahrheit besitzt und von Zeit zu Zeit es den Zuschauer berichtet. Für das postsowjetische antiautoritäre Bewusstsein scheint diese Figur schon überflüssig zu sein[viii]; b) „Mahagonny“ symbolisiert nicht die fertige, sondern werdende kapitalistische Gesellschaft und in diesem Aspekt ist sie fast die genaue Verkörperung der postsowjetischen Realität, die zeigt, mit welchen Schwierigkeiten treffen sich die Leute aus anderen Gesellschaften und Kulturen bei der Suche nach ihre neue Identität. Und umgekehrt, man kann von der “Mahagonnysierung” der postsowjetischen Gesellschaft sprechen. Was die obengenannte Antinomie bei der Brechts Rezeption in der postsowjetischen Gesellschaft und Kultur betrifft, so hat der durchgeführte kurze Analyse gezeigt, dass diese Antinomie durch die Anwendung an solche aktuelle Theaterstücke, wie “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny”, aufgelöst


[i] Brecht Веrtolt П. Gesammelte Werke. Bd.17. Schriften zum Theater 3 // Werkausgabe Еdition Suhrkamp, Fr.a.M, 1967. S. 1009-1010.

[ii] Bloch E. Erbschaft dieser Zeit. Fr.a.M., 1985.
[iii] Sieh., z.B.: Rywkina R.W. Drama peremen. Moskau, 2001. S.20-35

[iv] Am besten hat es in früheren sowjetischen Republiken gelungen, wo politisch-kulturelles Klima liberaler, als in Russland war. Deshalb waren eine der besten Aufführungen in Lettland (Theater der russischen Drama, Riga) und Georgien (Tbilissische Rustaweli-Theater, Tbilissi). In Russland war es vor allem „Taganka-Theater“ unter Leitung von J. Ljubimow, der die Erneurungselan der 1960-er Jahre sehr deutlich ausgedrückt hatte, und andere Theater, u.a., „Lensowettheater“ in Leningrad, das Theater „Maneken“ und Puppentheater in Tscheljabinsk (Süd-Ural). Es gibt aber andere Meinungen: so glaubt der russische Philosoph S. Semljanoj, dass B.Brechts Version des „epischen Theaters“ bis zur Unkenntlichkeit in der UdSSR entstellt wurde, sieh: Semljanoj S. „Proportionale Entwicklung der Gehirnen. Vom linken Avantgarde und Bertolt Brecht“ // Nesawisimaja Gaseta, 22.02.2001. S.6.

[v] Hier nur einige Bespiele der zahlreichen Aufführungen: 1995 – „Dreigroschenoper“ von Sankt-Petersburger Staatlichen Jugendtheater am Fontanka (Sankt-Petersburg), 1996 -„Dreigroschenoper“ vom Theater der Satire, Moskau, 1998 – „Mutter Courage und ihre Kinder“ vom Tjumener Staatlichen Schauspielhaus, Tjumen, 2000 – „Dreigroschenoper“ vom Theater der Schwarzmeeresflotte, Sewastopol, 2001 – „Der kaukasische Kreidekreis“vom „Fünftes Theater“, Omsk, 2003 - „Dreigroschenoper“ von Moskauer Theater im Süd-West, „Mutter Courage und ihre Kinder“ von „Mossowettheater“ , Moskau usw. Es gibt auch verschiedene interessante Projekte, z.B., Projekt von W. Klimow „Bertolt Brecht. Bibliographie (UdSSR, GUS, Russland seit 1943)“.  Der bekannte russische Schriftsteller Jurij Okljanskij hat einen Roman „Harem von Bertolt Brecht“ (Moskau, Verlag Sowerschenno sekretno, 1997) geschrieben.    

[vi] Bei Brecht kann man einige Bemerkungen finden, die zeigen, dass er auch diese sinnliche Seite der Gesellschaft in Betracht gezogen hatte. Sieh, z.B., „Über die Geräusche“ in den Anmerkungen zu „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ // Brechr Bertolt. Gesammelte Werke. Bd.17. Fr.a.M., 1990, S. 1095-1096. 

[vii] Vom Begriff der „Nieschengesellschaft“ bei der Analyse der DDR-Gesellschaft sieh, z.B.,: Weidenfeld W., Korte K-R. Handwoerterbuch zur deutschen Einheit. Bonn, 1991. S. 106.

[viii] Paradoxalerweise hat J. Herz in seiner Fernseh-Inszenierung solche Gefahr vermieden – dort ist ein solcher Kommentator ein aktiver Teilnehmer vielen Ereignissen. Und in der Aufführung von „Mutter Courage und ihre Kinder“ im Deutschen Theater macht die Person, die im Name des Autors spricht, einen statisch-autoritäres Eindruck.